„Sine vi sed verbo“(1)
Der Vorstand der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“

Sine vi sed verbo“(1)
Ohne menschliche Gewalt, sondern mit dem Wort Gottes“(2)
Stellungnahme zum Disziplinarverfahren gegen den Bremer Pastor Olaf Latzel

Hintergrund: Disziplinarverfahren(3)
Der Pastor der Bremer Kirchengemeinde St. Martini, Olaf Latzel, hatte im Oktober 2019 in einem Eheseminar Positionen der Homosexuellen- und Genderbewegung biblischen Aussagen zur Sexualethik gegenübergestellt. Dabei fiel vor dem Hintergrund zahlreicher in den letzten Jahren aus dieser Szene heraus erfolgter Attacken gegen die St. Martini-Gemeinde wie Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch der Satz: „Überall laufen diese Verbrecher rum vom Christopher Street Day“. Für die Mißverständlichkeit dieser Formulierung als Verurteilung aller homosexuell empfindenden Menschen als „Verbrecher“ hat er sich inzwischen öffentlich entschuldigt.
Nachdem ein halbes Jahr später, im April 2020, bei der Staatsanwaltschaft Bremen eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet wurde, nahm diese Ermittlungen auf. Daraufhin leitete die Bremische Evangelische Kirche (BEK) ein Disziplinarverfahren gegen den Pastor ein, das allerdings für die Dauer der staatsanwaltlichen Ermittlungen ausgesetzt wurde. Der Vertreter der BEK, Pastor Dr. Bernd Kuschnerus, erklärte im örtlichen Radiosender,(4) man warte das Ergebnis der Ermittlungen ab. Danach werde über disziplinarische Maßnahmen entschieden.

Zu der Angelegenheit nimmt die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ wie folgt Stellung:
In dem Konflikt zwischen der Bremischen Evangelischen Kirche und Pastor Olaf Latzel geht es nicht nur um die Wortwahl des Pastors im Blick auf Homosexuelle, sondern auch um die Bekenntnisgrundlagen der Evangelischen Kirche im Blick auf die Heilige Schrift und das Verhältnis von Kirche und Staat. Darum sieht sich die Bekenntnisbewegung zur Stellungnahme herausgefordert.

1. Die Sache: Bibel und Homosexualität
Was zur biblischen Beurteilung homosexueller Praxis (und um diese geht es, nicht um Empfinden oder Prägung) zu sagen ist, findet sich in der Orientierungshilfe der EKD „Mit Spannungen leben“ aus dem Jahre 1996: „Die wichtigsten alt- und neutestamentlichen Aussagen zum Thema "Homosexualität" finden sich in Lev 18,22 und 20,13 sowie in Röm 1,26f.; I Kor 6,9-11 und I Tim 1,10. Sie werten homosexuelles Verhalten ausnahmslos negativ.“ „Blickt man von hier aus auf die biblischen Aussagen zur Homosexualität zurück, so muß man konstatieren, daß nach diesen Aussagen homosexuelle Praxis dem Willen Gottes widerspricht.“
Nun ziehen verschiedene Gruppen(5) aus diesem unstrittigen Befund gegensätzliche Konsequenzen.
Die Mehrheit der öffentlichen Repräsentanten des landeskirchlichen Protestantismus leitet aus dem Liebesgebot die faktische Aufhebung der biblischen Weisungen zur Homosexualität ab. Das von Gott nicht gewollte soll Gott wohlgefällig gestaltet und dadurch gerechtfertigt werden – ein Widerspruch, der, soweit wir sehen, bis heute nirgends rational nachvollziehbar aufgelöst wurde.
Die Mehrheit derer, die bewußt Jesus Christus nachfolgen, versteht die biblischen Weisungen als Ausdruck der Liebe Gottes und ihre Befolgung und und Bezeugung als Erfüllung des Liebesgebotes und folglich ihre Außerkraftsetzung in Verkündigung und Praxis nicht zuerst als unmoralisch, sondern vor allem als Widerspruch gegen das Liebesgebot, weil Leben nur im Einklang mit der geschaffenen Ordnung gedeihen kann, im Konflikt mit ihr aber notwendig Schaden leidet.

2. Der Konflikt: Umgang mit „Irrenden“
Es handelt sich hierbei nicht um unbedeutende Detailfragen. Der Dissens rührt vielmehr an die Grundlagen des Glaubens und der Existenz des Einzelnen wie der ganzen Kirche. Entsprechend groß ist die persönliche Betroffenheit auf allen Seiten – und zwar um so größer, je mehr einerseits die Bindung an Christus die Existenz eines Menschen bestimmt und je höher andererseits die Identifikation mit der homosexuellen Lebensweise bzw. den diesbezüglich herrschenden gesellschaftlichen Normen ist. Von daher ist es nicht überraschend, daß eine sachliche Auseinandersetzung über diese Fragen in der Kirche nach aller Erfahrung nahezu unmöglich erscheint. Der Gebrauch des Wortes „Verbrecher“ durch Pastor Latzel einschließlich der nachfolgenden Entschuldigung ebenso wie der von der BEK erhobene Vorwurf, er beschädige deren Einheit, die wiederholte Anwendung von Gewalt gegen die St. Martini Gemeinde und nicht minder die erregte Diskussion im Internet bestätigen diesen Befund recht anschaulich.
Hier stellt sich nun die Frage, wie christlich mit diesem Fundametaldissens umgegangen werden sollte.

(a) Von Seiten des kirchenleitenden Amtes
Der Herr hat Seiner Kirche die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung kirchlicher Ziele grundsätzlich verwehrt: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“ (Matthäus 26,52)
Dieses Wort schließt selbstredend nicht nur den Einsatz antiker Hieb- und Stichwaffen, sondern jeder denkbaren Art von Waffen und ebenso aller Formen von Zwang und (auch ökonomischem) Druck zur Durchsetzung einer theologischen Überzeugung aus.
Ebenso erteilt der Herr jeder Ausübung von Macht unter den Seinen eine Absage: „Ihr wißt, die als Herrscher der Heidenvölker gelten, halten sie nieder und ihre Großen lassen sie ihre Macht spüren. Aber unter euch ist es nicht so.“ (Markus 10,42f).
Und die Theologische Erklärung von Barmen, die in der Evangelischen Kirche in Deutschland Verfassungsrang(6) hat, bezeugt unter Bezugnahme auf dieses Wort in ihrer vierten These: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“
Das Augsburgische Bekenntnis folgert aus dem Zeugnis der Schrift, das kirchliche Leitungsamt sei auszuüben „sine vi humana, sed verbo“ zu deutsch: „ohne menschliche Gewalt, sondern durch das Wort“ (CA XXVIII).

Daraus folgt:
Die Anwendung des Disziplinarrechts zur Durchsetzung von Lehrauffassungen ist mit dem Wesen der christlichen Kirche nicht vereinbar.
Sollte es aber bei dem Disziplinarverfahren nicht um die Sanktionierung einer theologischen Überzeugung, nämlich der Bewertung homosexueller Praxis gehen, sondern um die Sanktionierung eines Verhalten, nämlich einer inakzeptablen Formulierung, so scheidet auch hier das Disziplinarrecht aus, vielmehr ist in der Schrift der Weg der Seelsorge gewiesen: „Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest.“ (Galater 6,1)
Die Kirche hat also nicht die Aufgabe, Fehlverhalten zu sanktionieren, sondern zurecht zu helfen! Zeigt der Fehlende Einsicht, wie er es im vorliegenden Fall öffentlich bekundet hat, ist der Auftrag der Kirche in der betreffenden Angelegenheit erledigt.
Diese Argumentation zieht ihren Anspruch übrigens nicht aus einem simplen Biblizismus,(7) sondern aus der unbezweifelbaren Tatsache, daß das beschriebene Verhalten dem in der dritten Barmer These wie im ganzen Neuen Testament bezeugten Wesen der Kirche als Gemeinde von Brüdern“ (und Schwestern) entspricht, das das Wesen ihres Herrn widerspiegelt, der den Seinen die Füße wusch, damit auch sie einander die Füße waschen (Johannes 13,15.34f).
Das macht aber nun auch ein Wort an die erforderlich, die sich mit uns als Anwälte von Schrift und Bekenntnis verstehen:

(b) Von Seiten der Gläubigen
Vor dem Hintergrund der hier verhandelten Auseinandersetzung und der Formen, die sie nicht nur im Internet, sondern auch in Briefen an und Anrufen bei Vertreter/inne/n der BEK angenommen hat,(8) müssen gerade wir „Bibeltreuen“ uns daran erinnern lassen, daß das, was eben an die Adresse der Kirchenleitungen gesagt wurde, ganz genau so auch für uns gilt – und zwar besonders im Blick auf die Mitchristen, die nach unserer Einschätzung auf irrigem, vielleicht gar verderblichem Wege sind.
Laßt uns die, deren Position als irrig oder gar als nicht mehr christlich zu identifizieren wir uns von unserem Gewissen genötigt sehen, nicht mit den Augen des richtenden Gottes sehen, sondern mit den Augen des auch für sie wie für uns gekreuzigten und auferstandenen Christus – eingedenk dessen, daß wir alle ungeachtet unserer mehr oder weniger richtigen theologischen Einsicht und auch ungeachtet unseres besseren oder schlechteren Lebenswandels unter dem selben Gericht stehen und alle nur um Jesu Christi willen, allein aus Gnade Gott annehmbar werden.

3. Der Umgang mit dem Konflikt: Kirche und Staat
Abschließend muss aber noch ein Aspekt zur Sprache kommen, der in der bisherigen Diskussion nach unserer Wahrnehmung noch gar nicht thematisiert wurde, der aber von fundamentaler Bedeutung ist, nämlich das Verhältnis von Kirche und Staat bzw. von kirchlichem und weltlichem Recht.
Die Äußerung des Schriftführers der BEK in der o. g. Sendung von Radio Bremen, man warte das Ergebnis der Ermittlungen ab; danach werde über disziplinarische Maßnahmen entschieden,(9) sowie der Verzicht auf ein Disziplinarverfahren in einem früheren Fall, nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hatte, erwecken den Eindruck, die Kirche lasse sich die Bewertung des Verhaltens ihres Pastoren – ob es sanktionierungswürdig ist oder nicht – von staatlichen Stellen vorgeben, was in der Konsequenz bedeuten würde, daß die Kirche im Inneren Entscheidungen staatlicher Instanzen exekutiert. Ohne die BEK auch nur im Entferntesten mit den Deutschen Christen“ vergleichen zu wollen, müssen wir an die Entscheidung der Barmer Bekenntnissynode von 1934 erinnern, deren Grundsätze ausweislich Artikel 1 der Grundordnung der EKD anerkanntermaßen auch unabhängig von der geschichtlichen Situation des sog. „Dritten Reiches“ bleibende Gültigkeit besitzen und die in der fünften These ihrer Theologischen Erklärung bekannte:
Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.“ (Hervorhebung v. Verf.)
Für das Verhältnis der evangelischen Kirche zu ihren Amtsträgern und für die Beurteilung von deren Verhalten dürfen allein die Grundlagen der Kirche in Schrift und Bekenntnis maßgeblich sein, auf keinen Fall aber Vorgaben staatlicher Organe. Um es zugespitzt zu sagen: Die Kirche interessieren die Bewertungen eines Staatsanwaltes überhaupt nicht. Sie interessiert ausschließlich das Wort ihres Herrn Jesus Christus.
Wenn ein Amtsträger sich in Widerspruch zu den Grundlagen der Kirche stellt, muß die Kirche nach Maßgabe ihrer Grundlagen wie oben gezeigt reagieren, auch wenn sein Verhalten von staatlicher Seite gutgeheißen wird. Und umgekehrt: Wenn staatliche Organe einen Amtsträger strafrechtlich verfolgen, so hat das für die Kirche keinerlei Bedeutung, solange der Betreffende sich nicht in Widerspruch zu den Grundlagen der Kirche befindet. Selbstredend kann und muß die Kirche tatsächliche Verbrechen wie Mord, sexuellen Mißbrauch usw. intern sanktionieren (bis hin zum Entzug der Ordinationsrechte) – aber nicht, weil sie staatlichen Gesetzen zuwiderlaufen, sondern allein weil sie Gottes Geboten widersprechen. Das zu beurteilen aber bedarf sie keiner Hilfe staatlicher Organe. Da ist das Zeugnis der Heiligen Schrift vollkommen ausreichend.

Im Juni 2020
Der Vorstand der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“


(1) »Ohne Gewalt sondern durchs Wort« (CA XXVIII, lat. Fassung).
(2) CA XXVIII, dt. Fassung
(3) Zum ganzen siehe: https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/pastor-latzel-homosexualitaet-suende-evangelikale-bremen-100.html
(4) Radio Bremen, Sendung »buten un binnen« am 3.6.2020; im Netz unter https://www.ardmediathek.de/ard/video/buten-un-binnen-regionalmagazin/unterschriften-fuer-pastor-latzel---das-sagt-die-evangelische-kirche/radio-bremen-tv/Y3JpZDovL3JhZGlvYnJlbWVuLmRlL3JhZGlvYnJlbWVuLmRlL29wZW5tZWRpYS8xMDY4MTM/ ab 7:12
(5) Dabei darf nicht übersehen werden, dass die im Folgenden genannten Gruppen sich personell überschneiden und in sich nicht restlos homogen sind.
(6) Grundordnung der EKD, Artikel 1.
(7) in einer unreflektierten Übertragung biblischer Aussagen auf das Hier und Jetzt ohne Rücksicht auf den innerbiblischen und historischen Kontext.
(8) Aussage von Präsidentin Edda Bosse in einer Videobotschaft; zu sehen unter https://www.ardmediathek.de/ard/video/buten-un-binnen-regionalmagazin/unterschriften-fuer-pastor-latzel---das-sagt-die-evangelische-kirche/radio-bremen-tv/Y3JpZDovL3JhZGlvYnJlbWVuLmRlL3JhZGlvYnJlbWVuLmRlL29wZW5tZWRpYS8xMDY4MTM/ ab 5:33
(9) s. o. Anm. 4


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